Vortrag aus Anlaß der Konferenz „Dialog der Religionen und Kulturen“
Ohrid/Mazedonien 6.-9. Mai 2010
Emanuel Aydin
Chorepiskopos derartigen
syrisch-orthodoxen Kirche Österreichs
Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes, des einen Gottes. Amen.
Bism al-Ab wa al-Ibn wa al-Ruhulqudus, Ilah wahid. Amin.
Sehr geehrter Herr Präsident, sehr geehrte Frau Kulturministerin, sehr geehrte geistliche Würdenträger, Exzellenzen, meine Damen und Herren.
Wir haben im Rahmen dieser Konferenz die großartige Gelegenheit, im Kreis herausragender Persönlichkeiten des Geisteslebens unserer Welt über den Dialog zwischen Zivilisationen und Religionen sprechen zu können. Ich danke der UNESCO, dass sie diese Aufgabe zu der ihren gemacht hat. Und ich danke besonders der mazedonischen Regierung, dass sie es uns in so gastfreundlicher Atmosphäre und in einem so inspirierenden Umfeld ermöglicht, diese schwierige Aufgabe in Angriff zu nehmen. In einer Region, in der seit Jahrtausenden Kulturen und Zivilisationen aufeinander treffen, kann die Weltgemeinschaft zu Recht aufgefordert werden, nach dem großen Gemeinsamen zu suchen.
Umso mehr haben wir die Verantwortung, mit unseren Antworten nicht in Formeln und schönen Schlagworten an der Oberfläche hängen zu bleiben. Denn viele der hier Anwesenden bedrückt die Gefahr, dass der häufig artikulierte Wunsch nach „Dialog“ im bloßen Ritual erstarrt und die tatsächlichen Probleme des Zusammenlebens von Menschen mit unterschiedlichem religiösem und kulturellem Hintergrund überdeckt.
Deshalb sollten wir uns über einige zentrale Frage ehrlich Rechenschaft geben: Was ist das Wesen des Dialoges und worin besteht er? Was ist der Sinn und das Ziel des Dialoges? Wer sind die Parteien, d.h. die Partner des Dialoges?
Zur ersten Frage. Das Paradigma, das Beispiel und das Urbild des „Dialogs“ der sokratische Dialog, wie er uns von Platon aufgezeichnet worden ist. Es ist das gemeinsame Ringen um Wahrheit, um Einsicht in die Wirklichkeit. Sokrates versucht, aus seinem Gesprächspartner die Einsicht gleichsam „herauszubringen“ wie die Hebamme der Mutter bei der Geburt hilft. Grundvoraussetzung dabei ist, daß beide Gesprächspartner sich ausschließlich durch die Wirklichkeit leiten lassen. Mit anderen Worten, beiden darf es nur um die Wahrheit gehen. Anhand der Frage nach der Gerechtigkeit, der Frömmigkeit, der Tapferkeit u. a. versuchen Sokrates und sein prominenter Schüler Platon genau das zu tun: Wahrheit zu erkennen und zu formulieren. Niemals darf eine Einsicht aufgedrängt werden. Eine Einsicht kann auch gar nicht aufgedrängt werden.
Die platonischen Dialoge belehren uns, daß es schwierig ist, mit natürlichen Mitteln zur Wahrheit zu gelangen. Im Dialog „Phaidon“ (85cd) äußert aber Platon die Hoffnung, daß Gott selbst uns zu Hilfe kommt. Ein meisterliches Beispiel echten Dialogs finden wir etwa in den Dialogen Justin des Märtyrers (Dialog mit dem Juden Tryphon) und in den Auseinandersetzungen des hl. Ephräms des Syrers mit den Gegnern seiner Zeit, besonders natürlich mit dem Neuheidentum unter Kaiser Julian Apostata.
In meisterlicher Weise wurde das Anliegen Platons von dem afrikanischen Kirchenvater Augustinus in seinem Dialog „Über den Lehrer“ (De Magistro) aufgegriffen. Der heilige Augustinus sagt uns, daß echte Einsicht niemals aufgedrängt oder auch nur „gelehrt“ werden kann, sondern daß es dazu immer einer eigenen Einsicht bedarf, die das göttliche Licht jedem einzelnen ehrlich Suchenden gerne gewähren wird.
Zur zweiten Frage, der nach dem Sinn und dem Ziel des Dialoges. Der Sinn des Dialoges ist im klassischen Sinn eindeutig auf Erkenntnisgewinn ausgerichtet. Worin könnte dieser bestehen? Einem hohen Anspruch entsprechend könnte auf „absolute Erkenntnis“ abgezweckt werden, auf Einsichten, die jenseits der Positionen der Dialogpartner liegen und die diese Positionen allenfalls auch überwinden. Ist das ein realistischer Anspruch im „Dialog von Religionen“, die sich unterschiedlichen Glaubensgrundsätzen und Offenbarungswirklichkeiten verpflichtet wissen? Ich glaube nicht, denn dies würde dem Selbstverständnis aller Religionen radikal entgegenstehen.
Ein etwas weniger ambitioniertes Ziel könnte es sein, Klarheit über die Unterschiedlichkeit der Positionen zu schaffen, um zu begreifen, was der je Andere überhaupt meint und will. Erst in einem nächsten Schritt könnte sinnvoll über die Modalitäten eines friedvollen und fruchtbringenden Miteinander nachgedacht werden, indem gefragt wird, ob es von einem dritten Standpunkt aus – etwa dem des säkularen Staates Regeln gibt, die mit den Überzeugungen aller Dialogpartner vereinbar sind.
Aber auch ein solch „unambitioniertes“ Ziel setzt zumindest voraus, daß ein Dialogpartner dem anderen nicht unterstellt, er würde seine eigene Position nicht kennen oder verstehen.
Wir Christen müssen heute feststellen fest daß viele der weltweit stattfindenden „Dialogveranstaltungen“ stattfinden, bei denen „Gemeinsamkeiten“ und „Solidarität“ und „Zusammenarbeit“ beschworen werden, nicht zu einem besseren Verständnis des christlichen Glaubens beigetragen haben. In den Publikationen aus islamischen Ländern werden – im Einklang mit den Quellentexten des Islam – Christen immer noch als „Polytheisten“ und „Ungläubige“ beschimpft. Der christliche Glaube an die Allerheiligste Dreifaltigkeit wird falsch dargestellt: Wir Christen glauben an Vater, Sohn und Heiligen Geist, nicht an Allah, Isa und Maryam!
Wir Christen sind auch nicht „Leute des Buches“! Wir sind „Leute Jesu Christi“.
Wir verstehen uns als „Christianoi“, wie es im syrischen Antiochien, wo der heilige Petrus, der erste der Apostel gewirkt hat, zum erstenmal gesagt wurde: als „die zum Messias Gehörigen“.
Es darf keine islamische Deutungshoheit über den christlichen Glauben geben, denn das widerspricht auf dramatische Weise den soeben skizzierten Grundprinzipien eines Dialoges.
Noch destruktiver ist es, wenn dem Dialogpartner generell die Schutzwürdigkeit als Person und Subjekt in einer gemeinsamen Ordnung abgesprochen wird. Dieser Punkt wird meistens einfach ausgespart, aber es läßt sich nicht leugnen, daß eine derartige Grundhaltung in zahlreichen koranischen Versen grundgelegt ist:
a.. Sure 2,191 Pa: Und tötet sie (d.h. die heidnischen Gegner), wo (immer) ihr sie zu fassen bekommt, und vertreibt sie, von wo sie euch vertrieben haben!
b.. Sure 2,193 Pa: Und kämpft gegen sie, bis niemand (mehr) versucht, (Gläubige zum Abfall vom Islam) zu verführen, und bis nur noch Allah verehrt wird!
c. Sure 8,12 Pa: Haut (ihnen [ den Ungläubigen ] mit dem Schwert) auf den Nacken und schlagt zu auf jeden Finger von ihnen!
d. Sure 8,39 [textgleich mit Sure 2,193] Pa: Und kämpft gegen sie, bis niemand (mehr) versucht, (Gläubige zum Abfall vom Islam) zu verführen, und bis nur noch Allah verehrt wird!
e. Sure 9,5 Pa: Und wenn die heiligen Monate abgelaufen sind, dann tötet die Heiden, wo ihr sie findet, greift sie, umzingelt sie und lauert ihnen überall auf.
f. Sure 9,123 Pa: Ihr Gläubigen! Kämpft gegen diejenigen von den Ungläubigen, die euch nahe sind! Sie sollen merken, dass ihr hart sein könnt.
i.. Sure 47,35 Pa: Lasst nun (in eurem Kampfeswillen) nicht nach und ruft (die Gegner) nicht (vorzeitig) zum Frieden, wo ihr doch (letzten Endes) die Oberhand haben werdet!
g. 8, 55 Pa: Als die schlimmsten Tiere gelten bei Allah diejenigen, die ungläubig sind und (auch) nicht glauben werden
h. 47, 12 Pa: Die Ungläubigen aber genießen (ihr kurz befristetes Dasein) und verleiben sich (gedankenlos) ihre Nahrung ein (wörtlich: essen), wie das Vieh es tut. Sie werden ihr Quartier im Höllenfeuer haben.
Muslime haben sich bis zum heutigen Tag noch bei keiner der mir bekannten Dialogkonferenzen von derartigen Koranstellen distanziert.
Auch vom zweiten möglichen Ziel des Dialoges sind wir also noch weit entfernt.
Man könnte freilich ein noch bescheideneres Dialogziel definieren. „Der Weg ist das Ziel“, heißt es nicht selten mit einem Mode-Schlagwort. Wenn schon derzeit kein Erkenntnisziel verwirklicht werden kann, so rechtfertigt sich der „Dialog“ doch dadurch, dass Menschen miteinander friedlich umgehen, solange sie im Gespräch sind, dass sie auf Gewalt verzichten, solange sie miteinander am Dialogtisch sitzen.
Aber auch diese Hoffnung erweist sich als trügerisch.
Während wir hier über Dialog sprechen, werden Christen in Ägypten, Nigeria, Pakistan, Irak, in Malaysia und in den Ländern der arabischen Halbinsel sowie vielen anderen Ländern wegen ihres Glaubens verfolgt. Moslems finden sich unter Berufung auf ihre Glaubensquellen zu gewaltsamen Übergriffen aller Art ermutigt.
Mit Sicherheit gibt es in diesem Saal niemanden, der Gewaltakte dieser Art nicht verurteilt und der Auffassung ist, daß diese mit seinen Glaubensgrundsätzen nicht vereinbar sind.
Dieses Problem läßt uns zu unserer dritten Frage, derjenigen nach den handelnden Partnern des Dialoges übergehen. Die Frage läßt sich auch anders formulieren? Wer spricht für wen und mit welcher Autorität und Repräsentativität? Und wer distanziert sich wovon mit welcher Kompetenz und Ernsthaftigkeit? Welcher islamische Würdenträger hat die Aufforderung des libyschen Staatschefs Gadhaffi, alle Muslime müssten in einen Djihad mit der Schweiz ziehen, zurückgewiesen? Wie kommt es, dass im Parlament des EU-Beitrittskandidaten Türkei regelmäßig Christen als „Ungläubige“ bezeichnet werden und Publikationen der türkischen Religionsbehörde Christen als Menschen zweiter Klasse beschrieben werden? Was macht es für einen Sinn, mit Vertretern der Al Azhar Universität in Kairo über Dialog zu sprechen, die bei anderer Gelegenheit Terroranschläge als Ausdruck gerechtfertigter Verteidigung bezeichnen?
Zugestandener Maßen sind hier immer Personen am Werk, von denen man sagen kann, daß sie für die Religion als Ganzes nicht repräsentativ seien. Aber was bedeutet es, wenn nicht Personen, sondern Religionen oder Kulturen miteinander in Dialog treten sollen? Wie läßt sich ein Dialog gestalten, dessen Subjekte mondiale Kollektive oder geistig-spirituelle Konzepte sind? Die Voraussetzungen der Beantwortung derartiger Fragen sind zu komplex, um hier beantwortet werden zu können. Dies zeigt uns, daß wir im „Dialog der Religionen und Kulturen“ erst am Anfang eines langen Weges stehen. Und es zeigt uns, daß wir sehr bescheiden mit dem Anspruch umgehen sollten, Dialog wäre ein Allheilmittel der Konflikte dieser Welt. Ist es nicht sogar eine Gefahr, daß ein zahnloser „Dialog“ die Konflikte, die er verdeckt, geradezu schürt und verstärkt oder denjenigen ein sympathisches Alibi verschafft, die den Dialog nur als Waffe betrachten?
Freilich gibt es auch Momente der Hoffnung und Zuversicht. Der neue Präsident des Europarats, der Türke Mevlut Cavusoglu, meinte in seiner Antrittsrede, dass der interkulturelle und interreligiöse Dialog verstärkt werden müsse. Denn alle Arten von Rassismus, Fremdenfeindlichkeit, Antisemitismus, Islamfeindlichkeit und alle Arten ähnlicher Phobien, die zu Diskriminierung und Intoleranz führen, müssten ausgemerzt werden. Ich möchte diese Aussage so verstehen, dass Präsident Cavusoglu unter diesen Phobien auch die Christenfeindlichkeit, die wir täglich erleben, gemeint hat.
Ein derartiges Verständnis würde auf die Akzeptanz Allgemeiner Menschenrechte hindeuten, die die Basis unserer Politik sein sollten. Es ist ein Verständnis, das auf die „Assumption of Naum“ hinweist, die als eine der Leitlinien dieser Konferenz ausgewählt wurde. Sie ist ein Eckpunkt, von dem aus das Lebensmodell Europas entwickelt wurde, dem wir unsere Freiheit verdanken. Menschenrechtsstandards, Frieden und Wohlstand sind so möglich geworden.
Dieses Lebensmodell konstituiert auch das Prinzip der freiwilligen Religionsausübung im Rahmen einer gesetzlich verankerten Religionsfreiheit, die die individuelle Bekenntnisfreiheit und das Recht zur Bekenntnislosigkeit und zum Bekenntniswechsel umschließt. Religionsfreiheit muß freilich auch die Möglichkeit der Kritik einer Religion offen halten.
Was Dialog daher auf keinen Fall begünstigen sollte, sind Kulturrelativismus und doppelte Standards in den Menschenrechten.
Für uns als Christen und für mich als Priester der syrisch-orthodoxen Kirche gibt es freilich noch mehr zu verkündigen, nämlich Jesus Christus, den Erlöser des Menschengeschlechts. Er ist das Vorbild jeglichen „Dialog“, da Er uns in Seinen vielen Gesprächen mit Freund und Feind gesagt hat: Die Wahrheit wird euch frei machen.
Das ist der Quell und der Höhepunkt des Dialogs: Nicht nur die sokratische philosophische Einsicht in die geistige Wirklichkeit, so gut und wertvoll sie ist. Sondern die Begegnung mit dem fleischgewordenen Logos in Freiheit und Wahrheit. Billiger geben wir es nicht. Das ist die Botschaft, die wir empfangen haben und die wir hier einbringen.
Das möchte ich hier verkünden.
Ich möchte diese Botschaft auch ungehindert überall sonst verkünden dürfen, ohne wegen „Aufruhrs“ (al-fitna) zu unmenschlichen Strafen verurteilt zu werden.
Deswegen bin ich hierhergekommen.
Gott segne Sie alle, die gastfreundlichen Bürger des schönen Mazedonien und die engagierten Vertreter der Menschen des ganzen Erdkreises.
Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.